Einzigartige, authentische Geschichten

aus Brixen und Südtirol

Das Herz. Es schlägt in den Bergen höher. Und beim Vernehmen schöner Künste schneller. Purzelbäume schlägt es dann, wenn die Berge und die Kunst sich vereinen. Das nennt man dann: pures Glück! Diese Magazinartikel nehmen euch mit auf eine einzigartige Reise und sie zeigen das, was uns ausmacht: die feine Mischung aus umwerfender Natur und überwältigender Kultur.


Lest euch glücklich!

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Die da oben

Ein echtes Almleben auf der Zirmait Alm

Bernhard Mulser ist Hirte auf der Zirmait-Alm hoch über Brixen. Mit seiner Frau und den beiden Kindern kümmert er sich um Rinder und Schweine, monatelang leben die vier abgeschieden am Berg. Was das Leben auf der Alm mit einer Familie macht

Nein, die Zirmait-Alm ist keine überlaufene Almhütte mit kitschigen Tischdecken und Bedienungen in Dirndl oder Lederhose. Diese Alm ist echt. Hier, weitab vom geschäftigen Treiben im Tal, ist das Leben noch urig und authentisch.  Kälber grasen auf den steilen Wiesen, Schweine suhlen sich im Schlamm. Für hungrige Wanderer wird auf einem Holzherd gekocht. An diesem Ort hat Bernhard Mulser gerade seinen ersten Almsommer verbracht, gemeinsam mit seiner Familie. „Von Anfang Juni bis Ende September sind wir jeden Tag auf Zirmait – und von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang gemeinsam auf den Beinen“, sagt er. Kann das gut gehen, oder versinkt das Familienleben im Streit? Gibt es Almkoller wegen zu viel Nähe? Was macht das Leben da oben mit einem? Wie verändert sich das Bewusstsein? Das Denken? Das Fühlen? Familie Mulser stammt aus Völs am Schlern. Vater Bernhard ist selbstständiger Tischler, Mutter Bernadette Verkäuferin. Sohn Klaus, 17, sucht eine Lehrstelle als Gärtner, Tochter Lisa, 21, hat die Kunstschule in Gröden besucht und möchte jetzt Psychologie und Kunst studieren. Es sind ihre letzten Sommertage auf der Alm. Alle vier blicken zufrieden auf die vergangenen Wochen zurück – dabei kann so ein Sommer beschwerlich sein, die Tage auf der Alm sind lang und anstrengend. Mal etwas anderes machen, das wollte Familie Mulser. Andere würden dafür
übers Wochenende wegfahren, sie haben einen radikalen Schritt gewagt, Alltag und Arbeit hinter sich gelassen und etwas Neues ausprobiert. Bernhard Mulser und Sohn Klaus kümmern sich um das Vieh. 15 Kälber, eineinhalb bis zwei Jahre alt, verbringen den Sommer auf der Alm. Die neugierigen Tiere gehören zum Tiroler Grauvieh, einer typischen Rasse dieser Gegend. Die Tiere geben sowohl gute Milch wie auch gutes Fleisch und eignen sich wegen ihrer
guten Futterverwertung und Trittsicherheit ausgezeichnet für die Weidewirtschaft. Neben dem Grauvieh halten die Mulsers drei Tiroler Alpenschweine, eine alte Rasse. Die Schweine wachsen langsam, haben dafür aber ein hochwertiges,
cholesterinarmes Fleisch. Sie dürfen sich auf der Alm von Heu, Äpfeln und anderen Leckereien ernähren. Zu den Bewohnern der Zirmait-Alm gehören ebenso ein Esel, ein Pferd und ein Pony – und gemeinsam mit ihrer Familie verbringen Parson-Russell-Terrier Kiwi sowie die Katzen Furbi und Kitti hier ihre Sommerfrische. Die Katzen verstecken sich, der Hund will spielen.

Diese Alm ist echt. Hier, weitab vom geschäftigen Treiben im Tal, ist das Leben noch urig und authentisch.

Gast

„Den Umgang mit den Tieren habe ich als Kind auf dem elterlichen Hof und als Hirte in meiner Jugend gelernt“, sagt der Vater. Er hat sich Wissen angeeignet, das er täglich weiter vertieft. „Auf der Alm muss man Allrounder sein“, fährt er fort. „Hirte, Handwerker, Meteorologe, Tierarzt und Fremdenführer.“ Tochter Lisa hat schon zwei Sommer auf einer Schutzhütte gekellnert, aber die Arbeit auf einer kleinen Alm ist dann doch noch außergewöhnlicher. Statt nur Kellnerin ist sie jetzt auch Köchin, Hirtin, Handwerkerin und Bäuerin. Beschwerlich und angenehm, so fassen die Mulsers den Sommer zusammen. Lange, harte Tage, aber auch eine Auszeit vom Alltag und eine neue Erfahrung. „Das ist keine Entbehrung, das ist oben hab’ ich alles, was ich brauche“, ergänzt Sohn Klaus. Die Zirmait-Alm liegt auf 1 891 Meter Meereshöhe, man erreicht sie zu Fuß vom Dorf Vahrn nördlich von Brixen aus in etwa zweieinhalb Stunden, vom Parkplatz am Ende der befahrbaren Straße aus in einer Dreiviertelstunde. Von hier aus hat man einen weiten, offenen Blick zur Plose, zum Kronplatz, zu den schroffen Geislerspitzen und den Zillertaler Alpen. Die Alm liegt abseits der Touristenströme: Es sind vorwiegend Einheimische, die hier einkehren. Ziel der Wanderer ist meist die 2 517 Meter hohe Karspitze, eineinhalb Stunden weiter.

Es ist sehr ruhig auf der Alm. Selbst auf das Handy müssen Eltern und Kinder die meiste Zeit verzichten, Empfang gibt es hier oben nur hin und wieder. Man hört nur Kuhglocken und ab und zu eine Krähe. Wirklich aus der Welt ist die Familie auf der Zirmait-Alm zwar nicht, mit dem Geländewagen oder dem klassischen Gefährt vieler Südtiroler Bergbewohner – einem Fiat Panda – ist man in einer halben Stunde in Brixen. Gefühlt ist das Stadtleben allerdings unendlich weit weg. So weit, dass man es gar nicht mehr vermisst: Die Mulsers streiten regelmäßig, wer zum Einkaufen ins Tal fahren muss. Dem Familienleben hat der Sommer auf der Alm jedenfalls gutgetan. „Die Erfahrung hat uns noch enger zusammengeschweißt“, sagt Bernhard. Was nicht selbstverständlich ist, wenn man vier Monate lang aufeinander klebt. „Man lernt die Familie besser kennen“, sagt auch Tochter Lisa. Der Morgen beginnt beim gemeinsamen Frühstück, bei dem der Tag besprochen und die Aufgaben geplant werden: Wo sind die Kälber, was wird gekocht, haben wir genug Strom für das Backrohr, wer holt Holz? Keine weltbewegenden Entscheidungen, aber auf der Alm überlebenswichtig. Unten im Tal geht jeder seines Weges, aber hier oben müssen viele Dinge gemeinsam erledigt werden. Trotz aller Herausforderungen – zum großen Streit ist es nie gekommen. „Wir vertragen uns immer noch“, freut sich Klaus.

Text: Matthias Mayr
Fotos: Michael Pezzei
Erscheinungsjahr: 2019

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